Tag 29 - 16:11 Uhr - Gelände der Akademie
Die Intensität der Verbindung nahm unglaubliche Ausmaße an. Mamoru könnte die Menge an Wissen, Gedanken und Energien nicht einmal im Ansatz erfassen. Und auch wenn er nicht wusste, was genau mit ihm geschah, so konnte er endlich in dieser Verbindung einen Nutzen bringen. Sein gesamtes empathisches Bewusstsein umfing die anderen und teilte sich ihnen mit, als wären es ihre eigenen Wahrnehmungen. Auch wenn das eigene Bewusstsein noch durchaus vorhanden war, so verschwammen die Grenzen die ihn vom Geist der anderen trennten. Gewollt aber auch ungewollt konnten sie ihre Gedanken austauschen, nicht nur in Form von Worten, sondern vielmehr in Form von Bildern und Empfindungen. Mit dieser PSI-Verbindung teilten und verbanden sich auch die einzelnen Kräfte. Wo eine Kraft alleine schon unglaubliches leisten konnte, so waren alle Kräfte gebündelt noch wesentlich mächtiger.
In den Moment, in dem das Band dieser Verbindung auf einen Schlag gekappt wurde, fiel Mamoru auf den Boden. Eine unglaublicher Adrenalinstoß schwemmte durch seinen Körper, gleichzeitig schien ein glühender Draht sich um sein Gehirn gelegt zu haben. Mit einem schmerzverzerrten Gesicht drückte er sich beide Handballen gegen die Schläfen. Langsam verebbten die Kopfschmerzen und er nahm wieder seine Umgebung war.
Alles hatte sich wieder normalisiert, ganz so als wäre die letzten zehn Minuten nichts geschehen. Sämtliche Schüler konnten sich wieder bewegen, und viele von denen, die gefallen waren, brachen wegen dem erlebten Schock in Tränen aus. Mamoru nahm konnte wieder ihre Auren um ihn herum wahrnehmen. Auch wenn niemand körperlich verletzt war, waren die meisten bei dieser Übung ans Ende ihrer Kräfte gestoßen. Viele hatten immer noch Angst, oder waren in einem Stadium der geistlichen Erschöpfung, in der gar keine Gefühle mehr wahrgenommen wurden. Diese apathischen Erscheinungen, die nur Mamoru wie durch ein zusätzliches Sinnesorgan fühlte, wurden nur von zwei anderen Auren übertroffen. Mamoru folgte seinem Gefühl und fand noch wenigen Schritten die beiden Schüler. Sie hatten beide das Bewusstsein verloren und ein paar andere Schüler stellten aussichtslose Versuche an, sie wieder wach zu rütteln.
Die beiden hatten sich weit über das normale Maß eines Menschen erschöpft. Diese Erschöpfung war aber keine körperliche, sondern wohl hervorgerufen durch einen übermäßigen Gebrauch ihrer PSI Kräfte. Auch wenn sie in diesem Moment keine Gefühle ausstrahlten, konnte Mamoru trotzdem spüren, wie ihre immer schwächer werdenden Auren in einem synchron pulsierenden Takt mehr und mehr an Kraft verloren. Es schien fast so, als würde ihre Lebenskraft sie langsam verlassen. Der Anblick erschreckte ihn. Mamoru fühlte, dass er etwas unternehmen musste. Zögernd packte er sie beide an einem Handgelenk. Er konnte zwar ihre Körper spüren, wusste aber nicht was er unternehmen sollte. Sie hatten keine physischen Wunden! Wie sollte er sie heilen? Wie konnte er ihnen helfen, wenn nicht das Fleisch, sondern der Geist verletzt war?
Das Pulsieren ihrer Auren wurde immer schwächer. Mamoru versuchte sich verzweifelt zu konzentrieren. Es würde hier nichts bringen, die Wunden auf sich zu übertragen. Er musste irgendwie einen Teil von seiner Kraft auf sie übertragen. So ähnlich, wie er es bei dem Jungen am Strand getan hatte. Da jedoch hatte es ihn fast das Leben gekostet! Und er war unbewusst über sich hinausgewachsen. Wie konnte er das gleiche wieder bewirken? Diesmal bei gleich zwei Menschen!
Die Erinnerungen an die Verbindung des Kampfes schossen durch seinen Kopf. Dort hatte er ohne jegliche Schwierigkeiten Energien teilen können. Er musste nur ein ähnliches Band zu den beiden knüpfen.
Er versuchte mit aller Konzentration, die er aufbieten konnte in Verbindung mit den Bewusstlosen zu treten. Seine ganze restliche Wahrnehmung hatte sich ausgeblendet. Er kauerte mit geschlossenen Augen am Boden und war mit seinem Geist fast genauso weit von der Realität entfernt wie die beiden. Verzweifelt seine ganze Kraft zu bündeln traf die Verbindung Mamoru wie ein Hammerschlag ins Gesicht. Ähnlich wie bei dem gestrandeten Jungen, schien es ihm, als würde die Verbindung seine ganze Lebenskraft trinken wollen. Doch diesmal ging alles noch wesentlich schneller! Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sein gesamter menschlicher Verstand schien sich aufzulösen. Fast nur noch instinktiv griff sein Geist um ihn, in der Hoffnung selbst nach Leben greifen zu können. Doch weit und breit konnte er nichts spüren, seine gesamte Umgebung schien wie tot.
Plötzlich nahm er etwas nicht weit entfernt von ihm war. Leben! Wie ein Ertrinkender umklammerte er seine letzte Hoffnung.
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[Gino Damati]
Gino betrachtete besorgt den jungen, der über den beiden Bewusstlosen kauerte. Was zum Teufel war mit dem plötzlich los? Er hatte plötzlich am ganzen Körper gezuckt und dann keinen Mucks mehr gemacht. Dass er eine Verbindung oder so etwas mit den beiden aufgenommen hatte schien offensichtlich. Aber warum? Den beiden anderen schien nichts zu fehlen. Sie würden bestimmt wieder zu Bewusstsein kommen, wenn man sie eine Weile schlafen ließ oder einen Kübel mit kaltem Wasser über ihnen ausleerte.
Der Sizilianer sah die Augen des Jungen heftig hin und her zucken. Beherzt ging er einen Schritt vor und packte ihn bei der Schulter.
,,Komm steh auf, was is..." Seine Wort endeten in einem halb ersticktem Aufschrei.
Ein eiskalter Fühler schien durch seinen Arm direkt nach seinem Herz zu greifen um von dort aus wie flüssiges Eis durch seine Adern zu fließen. Der Junge den er berührte schlug wieder die Augen auf. Ausdruckslos schienen sie ihm direkt in die Seele zu schauen. Feine schwarze Fäden breiteten sich von der ebenso schwarzen Iris nach außen aus. Sie durchzogen das Weiß der Augäpfel und teilten sich in dürren Verästelungen immer weiter, bis das feine Gespinst beinahe das ganze Auge umschloss.
Mit einem wütenden Aufschrei riss Gino seine Hand von dem Jungen los. Der eisige Griff löste sich so schnell wie er gekommen war. Keuchend taumelte er einige Schritte zurück in Sicherheit.
Die beiden Bewusstlosen regten sich wieder. Der andere Junge lag auf dem Boden und wand sich in stummen Schmerzensschreien, seine Finger so fest in seinem Genick verkrallt. Einen Moment später lag er still. Ein paar Männer mit ausziehbaren Krankentragen kamen außer Atem zu ihnen gerannt und luden ihn auf.
Erschöpft fielen Gino die Augen zu.