[Jester]
Tag 3 - 7:05 Uhr - Wohnheime der Schüler (4) - Mädchenwohnheim - Jesters Zimmer
Da war Beatrice, die ihr hinterlistig Mut machte, sich mit Jack zu treffen. Jesters geliebtes Narrenoutfit, welches sie in so vielen Stunden gemacht hatte und das alles nur für ihn. Ihre vertrauten Augenbinden, durch die sie selbst alles erkennen konnte, während niemand sagen konnte, wohin und mit welchem Ausdruck die Augen Jesters blickten. Die Tür zu seinem Raum. Der Geruch der alten Herberge, der ihr höhnisch in die Nase stieg und beißend ihr Urteil verkündete. Die Tür flog auf. Grüne, bohrende Augen, eine Stimme, mit der man eine Schlägerei zwischen zwei verfeindeten Nationen zu einem freundschaftlichen Saufgelage ändern konnte und sein Lächeln, welches sie, verbunden mit einer perfekten Geste, in den Raum bat. 'Es ist so unecht, so aufgesetzt. Es ist alles zu perfekt' sagte Jester ihrer Erinnerung, denn dieses Mal sah sie alles aus einer dritten Perspektive. Die unsichere, silberhaarige, in einem lächerlich schönen Kostüm gekleidete Victoria stolpert vor Jester in den Raum. Makellos wie die Nacht umschlossen finsterschwarze Klamotten Jacks Körper. Jack Frost. Ein eiskalter Mensch, der wusste, wie er lügen musste, damit die Leute seine eisige, rationale, benutzende Art als freundschaftliche Wärme missdeuteten und in seinen Bann gezogen wurden. Das Bett, breit genug für drei Menschen und dahinter das Fenster, welches später diesem armen Mädchen namens Victoria zum Verhängnis werden sollte. Jester schrie sie an, bettelte und wütete, doch was sie auch machte, sie konnte nicht verhindern, dass die Erinnerung einfach weiter lief. Ein Klicken. Vier Beine, die mit dem Schlüssel verschwanden. Doch das dumme, verliebte kleine Mädchen merkte es nicht. Egal, was Jester versuchte, diese Victoria guckte Jack an, als wäre er ein Heiliger. Er schritt auf sie zu, berührte Victorias Wange und man hätte es als schöne Geste sehen können, wenn da nicht diese Gier in seinen Augen wäre. Fassungslos blickte Jester zu dem Mädchen, welches dastand wie eine Zapfsäule ohne Inhalt. Er sprach sie an. Plötzlich war alles in einer drückenden Stille und der Eiskalte mit den Smaragdaugen sprach tonlos zu dem Mädchen und es traf sie wie ein Donnerschlag. Mit schlangen-ähnlichen Bewegungen wanden sich seine Hände um ihren Körper, griffen an den Hintern und die Brust der jungen Lacrime. Sie begann sich zu wehren.
Jester war wutentbrannt, vor Schmerz und vor Angst, weil sie wusste, was passieren würde. Sie versuchte dieses Mensch gewordene Gift zu attackieren, ihm den Hals umzudrehen und Victoria, sich selbst, vor ihm zu schützen. Victoria war zurückgewichen. Jacks makellose, kühle Fassade war einer wütenden Fratze gewichen und als wäre sie ein Stück Fleisch, versuchte er seine Klauen in sie zu jagen und sie zu zwingen, ihm zu gehorchen. Jester, so verzweifelt sie war und so gut sie wusste, dass sie nichts ändern konnte, positionierte sich an dem Bett, an dem Victoria sich versuchen würde abzurollen. Nun standen sie, makaberer Weise perfekt in Szene, und Jack packte ihr Handgelenk. Die Zeit stand still, während Jacks Griff auf Jesters Haut brannte. Ein höllischer Schmerz durchzuckte sie und es war, als würden tausende Feuer in ihr darum wetteiferten, wer sie zuerst verzehren durfte. Sie fühlte sich, als würde sie gleich in tausende Teile auseinander springen als...
Sie die Augen öffnete. Jack starrte sie fassungslos an. Die Hand immer noch an Victorias Handgelenk, doch nun war Jester nicht mehr die, die tatenlos zuschaute. Als hätte er gemerkt, dass sich etwas verändert hatte, blickte er unschlüssig in ihre Augen, als sie ihm mit einem kurzen Lächeln die Fingernägel in die ängstlich wirkenden, smaragdgrünen Augen drückte, in denen sich nun das Rot der Rache aller sammelte, die er hintergangen und betrogen hatte. "Du blöde Schlampe, so haben wir nicht gewettet!" In blinder Rage fuchtelte Jack vor ihr herum, doch er konnte nicht verhindern, dass sie sich nun endlich revanchieren konnte. Sie duckte sich unter seiner blutverschmierten Hand weg, stieß mit eigenen Handfläche gegen seine Nase, sodass diese in einem unheimlich befriedigenden Geräusch brach, packte ihn dann mit beiden Händen an den Schultern, als wolle sie sich noch mal ansehen, ob sie grade den Richtigen zu einem Gesichtsauflauf verarbeitet hatte, um dann gekonnt an ihm hoch zu springen, nicht ohne mit voller Wucht ihr Knie in seine wertvollen Juwelen zu rammen. Wimmernd ging er zu Boden, als Jester ihn packte und mit einem gekonnten Schulterwurf durch das große Fenster donnern ließ und mit Genuss beobachtete, wie er dort aufgespießt wurde, wo sie ihren eigenen Tod gefunden hatte. Sie schloss kurz die Augen, sog die Luft ein, die sich veränderte, öffnete die Lider wieder und befand sich in ihrem Zimmer.
Die Decke befand sich am anderen Ende des Raumes als sie erwacht war. Jester fühlte sich verschwitzt und nicht wirklich erholt, doch sie war zufrieden. Auch, wenn es etwas brutal zugegangen war, endlich hatte sie auch für sich eine Art Schlussstrich drunter gezogen.
Sie ließ kurz die Knochen knacken, erhob sich, ließ die Dusche schon mal anlaufen, während sie sich ihrer Kleidung entledigte und stieg dann das schön temperierte Wasser. Nach einer ausgiebigen Dusche und einigen entspannten Seufzern zog Jester sich frische Klamotten an und begab sich nach draußen. Sie atmete die kühle und unverbrauchte Luft ein, frühstückte ein wenig, während sie gesehen hatte, dass die Rothaarige und das Mädchen, dem Ibuki das Genick gebrochen hatte, über irgendetwas sprachen. Sie waren definitiv geschminkt, und dass immer wieder ein komisches Funkeln in ihren Augen zu sehen war, zeigte, dass sie dies ganz bewusst gemacht hatten und, wichtiger noch, wussten, wo sie Schminke her bekamen! Jester hörte sich ein wenig um und als sie die Klasse betrat, gab es nur ein Gesprächsthema unter den Mädchen. Die Pause in dem Krankenzimmer zu verbringen und dort endlich an Schminke zu kommen. Ein Lächeln huschte über Jesters Gesicht und sie freute sich schon über die Gesichter der beiden Mädchen, wenn plötzlich die Schülerratsvizepräsidentin dort stand, wo doch scheinbar verhindert werden sollte, dass die offiziellen Instanzen irgendwas davon mitbekamen. Aber auf jeden Fall brauchte sie jetzt, wo sie wusste, dass es Schminke gab, einen Weg, an diese zu kommen.
[Yoshio Ishiguro]
Tag 3 - 07:30 Uhr – Gelände der Schule – Cafeteria
Stöhnend drückte er auf den Wecker, der schrill neben ihm klingelte. Yoshio fühlte sich vollkommen gerädert, hatte keine wirkliche Lust aufzustehen und begab sich nur widerwillig in das Bad. Lustlos legte er die Kleidung ab, begab sich unter die Dusche, die er extra nicht wirklich warm werden ließ, damit er wach wurde. Doch irgendwie klappte das nicht wirklich und nachdem er aus dem kühlen Wasserschwall gestiegen war, machte er sich fertig. Er war gestern zu schnell eingeschlafen und heute zu desinteressiert, um sich das Zimmer genauer anzugucken und als er die Tür hinter sich schloss, konnte er sich nicht wirklich an irgendwas erinnern, was in diesem Raum war. Er zuckte mit den Schultern und schlich fast schon dem Ausgang des Schülerwohnheims entgegen. Yoshio wusste, dass sich seine lustlose Art mit dem Verlauf des Tages geben würde. Solange ihn niemand weckte und er nach seinen eigenen Zeiten aufstand, war er wenigstens auf einem ertragbaren Level. Desinteressiert, pessimistisch, aber ertragbar. Auf dem Weg zur Cafeteria merkte er, dass er keine Marke mehr hatte. Doch er hatte auch vor seiner Ankunft hier meistens erst um Mittag rum gegessen, wodurch er ohnehin keinen Hunger hatte. Er nahm an einem Tisch etwas abseits der Menge Platz und überlegte, was er nun machen sollte. Diesem Take... Tenshi... Tenkashi oder wie der Schülerratspräsident auch hieß, wollte er mit Sicherheit nicht über den Weg laufen. Das Mädchen mit dem Messer, Ibuki oder so ähnlich, schien auch keine angenehmere Gesellschaft zu sein. Amaya, das Mädchen mit den schönen und doch so traurigen Augen war nirgens zu sehen. Wenn sie hier irgendwo war, hatte Yoshio sie wahrscheinlich übersehen, entweder durch seine Restmüdigkeit oder durch sein momentan recht geringes Interesse an seiner Umgebung.
Er seufzte und wartete dann, bis ihn entweder jemand fand oder er eine bessere Idee bekam.