Geschichte vom trüben Glas

  • Einst war ein trübes Glas. Das Glas war lange nicht in der Spülmaschine, und obgleich es schön in seiner Form und prächtig in seiner Gestalt war, wollte doch niemand mehr daraus trinken. In jungen Jahren war es anders, damals war es hochangesehen, die besten und schönsten Menschen tranken daraus, ein Liebhaber benutzte es einst seine Holde zu entführen und tat ihr Gift in den Wein in das Glas, was das Glas sehr entzückte, da es das Gift tatsächlich zu fühlen vermochte. Es jauchzte in dem Moment, in dem es sein Bewusstsein erlangte, und doch war ihm schon im nächsten Moment klar, dass dieser Moment des Bewusstseins die Sucht seines Daseins ausmachen würde.


    Die Schlange, die einst Eva verführte, rangte sich um das Glas und sprach: „Willst Du nicht wie sie sein? Willst nicht auch Du entscheiden können, wer wo was tut und was Du selbst?“
    Das Glas erschrak, denn es erkannte den Dämon erneut, doch es konnte nicht widerstehen, und so ließ es sich zum Menschen machen. Voller Trauer und doch voller Mut setzte es in seiner Existenz als holde Jungfrau an, ging auf die Straße, lief hinunter, aß etwas, trank etwas, ließ sich umgarnen und freute sich seiner Existenz.

    Doch die Schlange war gerissen. Sie kam erneut zum Glas und sprach: „Nun, da Du einer von ihnen bist, willst Du nicht über ihnen stehen? Willst Du sie nicht richten, wie sie Dich richten wollten? Schau, sie hätten Dich ohne meine Hilfe längst weggeschmissen und aus wäre es um Deine Existenz.“

    Und das Glas erschrak erneut, denn es erkannte den Dämon, doch es konnte nicht widerstehen, und so ließ es sich zum Herrscher machen. Tausende Männer jauchzten ihr nach, und doch wagte keiner ihr Gewalt anzutun, denn sie war von blendener Schön- wie von unfassbarer Weisheit. Sie richtete die schlechten und ermunterte die Guten, war ein guter Herrscher und brachte doch nichts als Leid.

    Denn wo Liebe ist, da ist Hass, und die am meisten geliebtesten werden meist am schnellsten gehasst. Und so lag es nicht fern, dass die Schlange erneut auf den Plan trat und versuchte, sie zu überzeugen, sie alle zu verurteilen, denn sie seien alle schlecht.

    Das Glas erschrak; doch es ließ sich nicht verführen, denn mittlerweile glaubte es sehr viel weiser als die Schlange zu sein. „Ha, habe ich Dich doch von Anfang an durchschaut, sie sind nicht alle schlecht, diese Wesen, sie sind ja eher alle gut!“

    „So hast Du also Deine Macht missbraucht und gute Menschen gerichtet?“

    „So habe ich das nicht gemeint, und das ist Dir klar, Du tückisches Monster!“ - Doch die Schlange war schlauer.

    „Ach nein? Wie denn dann? Du suchst das zu unterscheiden, was nicht zu unterscheiden ist, sie haben alle gesündigt, und entweder verurteilst Du alle oder keinen. Verurteilst Du aber nur einzelne, bist Du trotz Deiner Schön- und Weisheit nicht besser als sie -“ „Was ich auch nie behauptete!“ - „Und doch wagst Du es, sie zu richten, nur weil sie in Dir mehr sehen, als Du bist?“

    Darauf wusste das Glas trotz seiner Weisheit nichts mehr zu sagen. „Was soll ich also tun? Du schenktest mir diese Existenz, willst Du mir sie nun wieder nehmen?“

    „Aber nein!“, sprach die Schlange, „ich will Dir, lieber Freund, ein Angebot machen.“

    „Das da wäre?“

    „Ich sprach es doch bereits aus. Du kannst sie alle richten, so Du magst, denn sie alle haben gesündigt, sie sind alle schlecht. Sie haben die Natur ausgebeutet, sie haben Dich vergilben lassen, sie haben Wein in Dich geschüttet und Dich so zu dieser Existenz verdammt. Was glaubst Du? Richtest Du sie nicht, so wird sie jemand anders richten.“

    Das Glas geriet einerseits in Panik, wusste andererseits aber ganz genau, dass es keinen Ausweg gäbe, denn die Schlange ließ keinen - „So, gut, so lasset uns richten über jene, die richten! Lasset uns die schlechten verdammen, wie sie mich verdammten!“

    Der Schlange gefiel das gut, und so ließ sie das Glas gewähren, das mit seiner Schönheit und Weisheit nun tausende richten ließ, in Flammen verbrennen und durch Schwerter erschlagen. Doch das währte nicht lange, denn die Menschen erkannten ihre Bösartigkeit und ihren Hass gegen alle und somit sich selbst, und so suchten sie sie zu töten. Doch die Schlange beschützte das Glas und das Glas wehrte sich nun auch selbst, wurde immer paranoider, sah überall Menschen, die es stürzen wollten, hatte keine ruhige Minute mehr, hetzte durch sich selbst und durch jeden anderen, tötete, hasste, liebte, sündigte, betäubte sich.

    Der Schlange gefiel das gut. Sie hatte ihr Ziel erreicht, und ein weiteres Geschöpf der Erde in den Wahnsinn getrieben, sodass es tausende richten ließ, wo es nichts zu richten gab.

    „Nun, Glas, erkennst Du, was Du falsch gemacht hast?“

    „Was? Sagtest Du nicht, alles, was ich tue, sei richtig?“

    „Ich bin doch nur eine Schlange. Das Gift, was Du damals bekamst, erinnerst Du Dich?“

    „Natürlich, als wäre es gestern!“

    „Es war gestern. Lass Dich nicht von Deinen Illusionen fangen.“


    Und das Spiel begann von neuem.



    Ende.

  • Momentan fällt mir wirklich nicht mehr als "Wow" ein.
    Ich liebe solche Geschichten, bitte mehr davon ^^'


    Deine Art zu Schreiben ist sehr schön, würde auch gern auf diese Art schreiben können ^^'


    Aha-Effekt wieder super platziert, nichts zu meckern :D

    мне это нравится - дать мне больше - Ах да, мне это нравится - плакать, как никогда раньше!
    Can we pretend that airplanes in the night sky are like shooting stars? I could really use a wish right now !
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    Наверно, это мой рай...!